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Neucodierung der Berge durch utopische Bilder

Neucodierung der Berge durch utopische Bilder

Die Historikerin Catrina Klee ist Mitglied der Graduate School des Urner Instituts Kulturen der Alpen und forscht zur Tourismusentwicklung in Südtirol vor dem Hintergrund des Faschismus der 1920er bis 1940er Jahre. Mit ihrem Dissertationsprojekt «Utopische, faschistische Architektur: Tourismus als strategische Investition in Südtirol» leistet sie einen essenziellen Beitrag zur transdisziplinären Erforschung des Alpenraums.

Das Südtirol ist seit jeher ein touristisches Juwel. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts zeichnete sich in der Art des Tourismus ein Wandel ab – vom Kur- hin zum Sporttourismus. Dadurch änderte sich auch der Typus des Südtiroler Touristen. Er wurde zunehmend sportlicher und nationaler. Das ist kein Zufall, wie uns der historische Kontext verrät. Einerseits wurde mit der Machtübernahme durch Mussolini jeglicher internationaler Tourismus zwischen den 1920er und 1940er Jahre gekappt und andererseits, so die Historikerin, steht der Fokus eines aktiven Urlaubs in klarer Verbindung zum Fokus der faschistischen Ideologie auf Körperlichkeiten. Das Dissertationsprojekt untersucht ebendieses Zusammenspiel, wobei der Hauptfokus auf den Tourismus als strategische Investition bzw. gebaute Politik gelegt wird.

Funivie Alte Dolomiti – das Seilbahnprojekt der Elite

Obwohl in den Zwischenkriegsjahren nur wenige touristische Bauten in Südtirol tatsächlich entstanden sind, wurde viel in die Weiterentwicklung des Sportortes investiert. Dabei standen diverse Projekte zur Diskussion, unter anderem auch das bislang kaum erforschte, nicht-realisierte, «utopische» technische Grossprojekt «Funivie Alte Dolomiti». Dahinter verbirgt sich ein gewaltiges Seilbahnprojekt, welches mit 160km Länge durch die Dolomiten führen sollte. Ein besonderes Highlight: Eine Seilschwebebahn sollte Bozen direkt mit Cortina d’Ampezzo verbinden. Federführend in der Planung und Entwicklung waren der Architekt Francesco Bonfanti mit Unterstützung vom Mailänder Architekten Giovanni Ponti und dem Textilhändler Graf Gaetano Marzotto. Quellen bezeugen, dass auch Mussolini in das Projekt involviert war und es finanziell unterstützte.

Die Gründe für den Bau eines derartigen Grossprojekts sind mannigfaltig. So erläuterte Klee beispielsweise, dass sowohl die internationale Stellung gestärkt als auch den Reichtum, die Macht und die Ingenieurskunst Italiens aufgezeigt werden sollte. Gleichzeitig wurde die erneute touristische Öffnung des Landes angestrebt. Darüber hinaus versprach man sich vom Fokus auf den Wintertourismus die Förderung des neuen starken Mannes und ferner einer gesunden Wehrkraft.

Aber was kann uns ein nicht-realisiertes Projekt offenbaren?

Der Historikerin zufolge eine ganze Menge – vor allem neue Fragen. So ist unklar, inwiefern Bonfanti und Ponti zusammengearbeitet haben und wie sich ihre jeweilige Beziehung zu Mussolini gestaltete. Auch die Tatsache, dass das Seilbahnprojekt weder in der Forschung noch in der Öffentlichkeit ein Begriff ist, wirft Fragen auf, insbesondere, weil in Südtirol die erste Seilbahn weltweit erbaut wurde und dementsprechend die Seilbahngeschichte ausführlich dokumentiert ist. Da die Historikerin keinen Zugang zu diversen (Privat-)Archiven erhält, werden wohl die meisten dieser Fragen unbeantwortet bleiben.

Indem sie allerdings die faschistisch geprägte touristische Infrastruktur ins Zentrum ihrer Forschung stellt, erfährt ein bislang unbekannter historischer Gegenstand erstmals Aufmerksamkeit. Und: Mit ihrem Projekt leistet sie einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung des italienischen Faschismus. Der Historikerin gelingt es anhand des utopischen Grossprojekts aufzuzeigen, dass der Tourismus in Südtirol als strategische Investition während den Zwischenkriegsjahren gedeutet werden kann.

Veröffentlicht am 09. Juli 2024

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