Das Urner Institut Kulturen der Alpen beschäftigt sich transdisziplinär mit dem Alpenraum und hat sich in den vergangenen Jahren als führende Forschungseinrichtung über die Grenzen der Zentralschweiz hinaus etabliert. Die wachsende Bekanntheit des Instituts macht sich auch in der hauseigenen Graduate School bemerkbar. Während zu Beginn alle Mitglieder – nicht zuletzt aufgrund der engen Anbindung an die Universität Luzern – von dieser Institution stammten, können mittlerweile auch überregionale Zugänge verzeichnet werden. Ein Beispiel für einen solchen Neuzugang ist die Ethnologin Kiah Lian Rutz.
Vom lokalen Wissen zur globalen Forschung
Als Ethnologin führt Rutz Interviews und betreibt teilnehmende Beobachtung – eine ethnografische Methode, bei der die aufmerksame Wahrnehmung der Aussenwelt im Mittelpunkt steht. Dadurch kann sie nachvollziehen, wie der gegenwärtige Mensch lebt, die Welt versteht und Phänomene wie Klimawandel einordnet.
Die Schweiz bildet einen besonders geeigneten Rahmen für Rutz’ Forschung, da die Bevölkerung über ein sehr spezifisches Wissen rund um Schnee verfügt. So ist beispielsweise das Schweizer Wissen über Lawinen und Lawinenschutz als UNESCO-Weltkulturerbe anerkannt. Ein schweizweiter Vergleich von verschiedenen Ortschaften und deren Umgang mit der zunehmenden Schneearmut ist für eine Einzelforscherin nicht realisierbar. Aus diesem Grund musste Rutz ihr Forschungsgebiet eingrenzen. Sie betonte: «Die Wahl fiel schliesslich auf die Surselva. Das Bündner Bergtal ermöglicht mir einerseits, in die Tiefe zu gehen, und andererseits verfügt es über die notwendige Grösse und Vielfalt an Sektoren und Arten den Lebensunterhalt zu bestreiten.» So kann sie innerhalb des Tals mehrere Regionen und Gemeinden miteinander vergleichen, was wiederum essenziell für die Einbettung der Forschungsergebnisse in einen grösseren schweizerischen Kontext ist.
Das Verschwinden des Schnees: Bedrohung oder Chance?
Rutz begann im vergangenen Winter mit ihrer Feldforschung. Oft wird die Schneearmut lediglich mit der kalten Jahreszeit in Verbindung gebracht. Allerdings darf die ausserwinterliche Rolle des Schnees als Teil des Wasserzyklus nicht ausser Acht gelassen werden. So haben schneearme Winter direkte Auswirkungen auf die sommerliche Alpwirtschaft. Das fehlende Wasser sorgt beispielsweise dafür, dass das Gras nicht wächst oder die Kühe ihren Durst nicht stillen können.
Bereits jetzt stellt die Forscherin fest, dass drei Sektoren – Tourismus, Landwirtschaft und Hydroenergie – besonders stark unter dem Schneemangel leiden. Interessanterweise gibt es in jedem dieser Bereiche zwei Lager: diejenigen, die den Schneeschwund als Bedrohung empfinden, und andere, die darin eine Chance sehen. Beispielsweise betrachten einige Vertreter*innen der Landwirtschaft den Rückgang des Schnees als Gefahr für die Alpwirtschaft, während andere darin die Möglichkeit erkennen, bestimmte Nutzpflanzen nun auch in höheren Lagen anzubauen. Auch die Tourismusbranche ist gespalten: Einerseits möchte man weitermachen, bis es nicht mehr geht, andererseits müssen neue Strategien ausserhalb des Wintertourismus entwickelt werden. Um zukunftsfähig zu bleiben, versuchen sich viele Orte als Ganzjahresdestination zu etablieren. Und, last but not least, gibt es auch im Hydroenergiesektor diverse Meinungen im Zusammenhang mit diesem Thema. Besonders diskutiert wird dabei die Frage, wie lange die Schweiz noch über ausreichende Wasserressourcen verfügt und wie diese am effektivsten bewirtschaftet werden sollten.
Veröffentlicht am 28. August 2024
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